Gabriele war völlig fertig. Sie weinte und Ralf versuchte, sie zu trösten. Die Crew hatte gerade einen schlimmen Einsatz hinter sich. Ein kleiner Junge war auf einer Feier in den Teich gefallen und war ertrunken und sie hatten es nicht mehr geschafft, ihn zurück zu holen. Ralf hielt Gabriele im Arm und sagte: „es ist nicht deine Schuld…du darfst dir nicht solche Vorwürfe machen.“ Gabriele schluchzte: „Aber Ralf, wenn…“ Ralf unterbrach sie: „ Gabi, wenn du dem kleinen schon nicht mehr helfen konntest, dann hätte es niemand mehr geschafft. Niemand hätte den Jungen mehr retten können. Es hat einfach zu lange gedauert, bis da von den Leuten überhaupt mal jemand klar denken konnte und uns gerufen hat. Du hast doch gesehen, wie die alle neben sich standen. Es ist überhaupt nicht deine Schuld.“ Biggi kam aus der Küche und brachte Gabriele einen Kaffee. „Hier, trink erstmal einen Kaffee.“ Gabriele nickte und nahm den Kaffee. „Danke.“ Sagte sie leise. Ralf und Biggi sahen sich an und Ralf zuckte mit den Schultern. Biggi legte eine Hand auf Gabrieles Schulter und meinte: „ Du darfst dich nicht so fertig machen. Es ist nicht deine Schuld was passiert ist.“ Gabriele nickte und beruhigte sich langsam etwas. Sie trank ihren Kaffee und war dann in Gedanken versunken. Dann sagte sie leise: „Ich weiß genau, wie der Junge sich gefühlt hat, als er ertrunken ist. Nur er konnte nicht mehr zurück geholt werden, bei ihm kam die Hilfe zu spät.“ Gabriele sah noch immer zu Boden. Ralfs und Biggis Blicke trafen sich. Beide wussten genau, was Gabriele meinte. Sie war noch immer nicht über ihren Unfall in dem Schleusenwerk vor ein paar Wochen hinweg. Sie sprach zwar nicht viel darüber, aber Ralf und Biggi wussten auch so, was los war. Sie kamen aber nicht mehr weiter ins Gespräch, da der Alarm los ging. Sie wurden zu einem Unfall mit einem abgestürzten Paraglider gerufen.
Als am Abend endlich Schichtwechsel angesagt war, fragte Ralf Gabriele auf dem Parkplatz: „ Hast du Lust heute Abend etwas mit mir zu unternehmen oder einfach so mit zu mir zu kommen, damit du vielleicht etwas auf andere Gedanken kommst? Ich könnte dich etwas ablenken?“ Ralf grinste. Doch Gabriele schüttelte den Kopf: „Heute Abend nicht Ralf, ich brauche einfach mal etwas Zeit zum Nachdenken und möchte allein sein. Tut mir leid.“ Ralf nickte: „OK. Aber mach dich nicht verrückt, wegen dem Einsatz vorhin.“ Gabriele versuchte zu lächeln: „Mach ich nicht.“ Ralf gab ihr einen Kuss und sagte: „Ich liebe dich.“ Gabriele erwiderte den Kuss und sagte „Ich dich auch.“ Dann verabschiedeten sie sich und fuhren los. Gabriele fuhr direkt nach Hause. Sie hoffte, dass ihre Mutter nicht gerade wieder irgendwas feierte und so viele Leute eingeladen hatte, denn das war jetzt das wenigste was sie gebrauchen konnte. Aber sie hatte Glück. Ihre Mutter war alleine. Sie saß im Wohnzimmer und sah fern. Gabriele begrüßte sie kurz uns verschwand dann unter dem Vorwand sehr müde und kaputt von der Arbeit zu sein nach oben. Sie sah ebenfalls noch etwas fern. Später las sie noch ein wenig und dachte dabei darüber nach, ob sie Ralf noch anrufen sollte, aber sie beschloss es dann doch zu lassen und ging stattdessen in ihr Schlafzimmer und versuchte zu schlafen. Erst sehr spät gelang es ihr endlich. Aber sie schlief sehr unruhig in ihrem Bett. Wieder träumte sie von dem Einsatz in der Schleuse, wieder sah sie, wie sich das Tor langsam schloss und das Wasser in die Schleuse strömte. Als sie schon gedanklich mit allem abgeschlossen hatte und nicht mehr damit gerechnet hatte, hier lebend wieder raus zu kommen, war Ralf gekommen. Aber er hatte nicht wie erhofft, das Tor von innen öffnen können. Also mussten sie zurück tauchen. Da Ralf nur eine „Taucherausrüstung“ hatte, musste er sie hinter her ziehen. Sie spürte wieder die Panik, die in ihr aufstieg, als ihr die Luft ausging und es ihr wie eine Ewigkeit vorkam, bis sie das Bewusstsein verlor.“ Sie wachte schweißgebadet auf. Ihr war schlecht und sie hatte das Gefühl sich gleich übergeben zu müssen. Sie musste sich erstmal orientieren und war erleichtert, als sie ihr Zimmer im Haus ihrer Mutter erkannte. Sie schüttelte den Kopf. Sie fragte sich immer wieder, wie sie die Alpträume endlich los werden könnte. Direkt nach dem Unfall hatte sie diese Träume, dann ging es eine ganze Weile gut und vor kurzem fing es wieder an. Sie fragte sich, ob es nicht doch ein Fehler gewesen war nicht mit zu Ralf zu fahren, denn Ralf konnte sie immer so gut beruhigen und ihr ging es schnell wieder gut, weil Ralf es immer schaffte sie abzulenken. Aber nun war sie allein und konnte kein Auge mehr zu bekommen. Heute war es besonders schlimm, diese Panik in dem Moment, als ihr die Luft ausging als sie da mit Ralf runter getaucht war, war in dem Traum fast wie es in der Realität gewesen war.
Sie stand auf und ging in die Küche. Nach so einer Nacht brauchte sie jetzt erstmal einen schön starken Kaffee. Sie setzte den Kaffee auf und ließ sich auf die Eckbank fallen. Sie war noch immer todmüde und hatte das Gefühl, nicht eine Minute geschlafen zu haben. Sie sah auf die Uhr. Es war kurz vor vier nachts. Sie murmelte zu sich selbst: „Gabriele, du bist verrückt. Stehst mitten in der Nacht auf und trinkst Kaffee.“ Sie schüttelte den Kopf und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, mit der sie sich wieder an den Tisch setzte. Etwas später ging sie wieder nach oben und versuchte, noch etwas zu schlafen. Doch es gelang ihr einfach nicht. Sie konnte nur an das viele Wasser denken, das sie beinahe das Leben gekostet hatte. Sie ging ins Badezimmer an den Medikamentenschrank und suchte nach den Schlaftabletten ihrer Mutter. Sie hielt die Packung in der Hand und zögerte erst. Normalerweise nahm sie nie Schlaftabletten. Doch dann entschloss sie sich doch, eine zu nehmen, sie würde sonst gar nicht mehr schlafen können und ihr war schon schlecht vor Müdigkeit. Sie holte sich ein Glas Wasser und nahm eine der Tabletten ein. Dann ging sie wieder zu Bett und schlief auch relativ schnell ein.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte, sah sie auf den Wecker auf dem Nachttisch. Es war bereits kurz nach 10.00 Uhr. Sie war froh, dass sie heute erst zur Spätschicht zur Arbeit musste. Sie stand auf und ging ins Bad um sich fertig zu machen. Dann ging sie runter in die Küche um etwas zu frühstücken. Sie setzte sich an den Tisch und aß Müsli. Erst jetzt entdeckte sie den Zettel auf dem Tisch. Ihre Mutter hatte ihr eine Nachricht hinterlassen, dass sie eine Freundin besuchen würde um mit ihr in die Stadt zu fahren. Sie würde erst gegen Abend zurück kehren. Gabriele seufzte. Das hieß dann wohl, dass sie heute selbst was zum Mittagessen kochen müsste. Sie hasste Kochen und Hausarbeit. Sie beschloss, nachher los zu fahren um etwas einzukaufen, da nichts da war, mit dem sie etwas anzufangen wusste.
Am Nachmittag machte sie sich dann auf den Weg zur Basis. Sie kam fast gleichzeitig mit Biggi an, die gerade von ihrem Motorrad abstieg. Gabriele stieg aus „Hey!“ sagte sie. „Hey! Na, wie geht’s?“ begrüßte sie Biggi und die beiden umarmten sich kurz. „ Wieder gut. Ist schon ok. Ihr habt ja recht…“ antwortete sie. Biggi nickte. Dann gingen die beiden sich umziehen und anschließend in den Aufenthaltsraum. Beide wunderten sich, wo Ralf wohl war. Kurz darauf betrat Herr Ebelsieder den Raum. „Guten Morgen. Kann mir einer von ihnen sagen, wo Herr Staller steckt? Ich muss ihn dringend etwas fragen wegen einer Bestellung.“ Biggi und Gabriele sahen sich an. „Er ist irgendwo draußen glaube ich. Er müsste jeden Augenblick wieder da sein.“ log Biggi. Zu ihrem Glück verschwand Herr Ebelsieder mit einem Nicken wieder in sein Büro. Im selben Moment kam Ralf zur Tür herein. „Guten Morgen. Sorry, ich weiß, ich bin spät, ich habe verschlafen, aber...“ Gabriele unterbrach ihn. „Kannst du gleich weiter erzählen. Du musst dich so schnell du kannst umziehen. Ebelsieder sucht dich!“ Ralf nickte und verschwand hastig in der Umkleide. Kurz darauf klopfte er bei Herr Ebelsieder an die Tür und ging rein.
Die Schicht verlief ruhig. Doch Ralf fiel auf, dass Gabriele noch immer ziemlich fertig aussah. Als Biggi gerade mit Max im Hangar verschwunden war, weil sie etwas am Hubschrauber kontrollieren wollten, fragte er sie: „ Ist alles in Ordnung mit dir?“ Gabriele nickte. „Ja, ich habe nur ziemlich schlecht geschlafen heute Nacht. Ich hatte wieder einen dieser Alpträume.“ Ralf wusste was sie meinte und fragte: „Willst du drüber reden?“ Gabriele schüttelte den Kopf. „Nein. Nicht hier, nicht jetzt.“ Ralf nickte nur. Als Schichtwechsel war, fragte Ralf sie: „ Kommst du heute mit zu mir?“ Gabriele grinste und stimmte zu. Die beiden fuhren in Ralfs Wohnung. Auf der Fahrt hatten sie schon beschlossen, sich noch Pizza zu bestellen. Während Gabriele kurz duschte, rief Ralf den Pizzaservice an und ging dann in die Küche um eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank zu holen, die er extra schon kalt gestellt hatte. Wenig später kam die Pizza und Ralf brachte sie ins Wohnzimmer. Als er wieder in der Küche war und die Sektgläser aus dem Schrank nahm, kam auch Gabriele in die Küche. Sie umarmte Ralf von hinten und küsste ihn am Hals. Dann sagte sie: „Wow, du hast ja an alles gedacht.“ Ralf nickte, stellte die Gläser kurz zur Seite und küsste sie. Dann gingen die beiden ins Wohnzimmer und aßen ihre Pizza. Als sie schon eine Weile fertig waren, wollte Ralf das Geschirr schnell in die Küche bringen, doch Gabriele hielt ihn fest und zog ihn zu sich aufs Sofa zurück. Sie sah ihn verführerisch an und meinte: „Ich habe da eine viel bessere Idee…“ Ralf grinste und küsste Gabriele, sie zog ihm sein T-Shirt aus und warf es auf den Boden und Ralf tat es ihr gleich. Nach einer Weile wurde es den beiden dann doch zu unbequem und sie gingen ins Schlafzimmer. Sie verbrachten noch eine schöne Nacht zusammen und wachten am nächsten Morgen Arm in Arm auf. Ralf sah Gabriele in die Augen und sagte: „Du bist das beste was mir je passiert ist. Ich liebe dich und will dich niemals verlieren.“ Gabriele lächelte: „Ich liebe dich auch.“
Da die beiden heute einen freien Tag hatte, beschlossen sie, am späteren Nachmittag in die Stadt zu fahren um etwas bummeln zu gehen und anschließend ins Kino zu gehen.
Am nächsten Tag hatten sie wieder Frühschicht. Auch Thomas, Michael und Peter waren noch da und machten gerade so eine Art Tischfußball- Turnier, auch Max war mit dabei. Ralf stieg ebenfalls mit ein, aber Gabriele und Biggi hatten keine Lust und sahen nur zu. Nach einer Weile gingen sie nach draußen und machten es sich auf den Liegestühlen bequem. Biggi berichtete gerade von ihrem Date mit Axel, das sie gestern Abend hatte, als der Alarm los ging. Es ging an den Chiemsee. Ein junger Mann hatte die Kontrolle über seinen Jetski verloren und war mit einem Sportboot zusammen geprallt. Das Boot hatte zum Glück keinen großen Schaden genommen, so dass die Besatzung, ein junges Paar mit zwei kleinen Kindern, das Boot zum Ufer fahren konnte, nachdem der Mann den verletzten Jet-Ski-Fahrer aus dem Wasser gezogen hatte und an Bord genommen hatte. Biggi landete den Hubschrauber sicher am Ufer und Ralf und Gabriele rannten zu dem Verletzten. „Kollmann. Was ist passiert?“ wandte sich Gabriele an die Beteiligten. Der Mann schilderte den Vorfall und Gabriele untersuchte den Verletzten, der langsam das Bewusstsein wieder erlangte. Es sah schlimmer aus, als es wirklich war und so dauerte es nicht lange, bis sie den Mann so weit versorgt hatten, dass er auf die Trage gelegt werden konnte. Sie trugen den Patienten zum Hubschrauber. Kurz vorm Hubschrauber übernahm ein Polizist das Tragen für Gabriele, während der andere Polizist das junge Paar zum Unfallhergang vernahm. Gabriele lief zurück über den langen Bootssteg zum Boot, um die letzte Tasche zu holen, die Ralf stehen gelassen hatte. Als sie gerade wieder los gehen wollte, sah sie etwas gelbes im Wasser, sie blieb abrupt stehen und sah genauer hin. Es war kein Zweifel, da lag jemand im Wasser, ein Kind. Gabriele fiel sofort ein, dass das Mädchen von der Familie mit dem Boot eine gelbe Jacke an hatte. Gabriele sah zum Hubschrauber und rief nach Ralf, es bleib aber keine Zeit mehr zu verlieren. Gabriele wartete nicht mehr auf eine Antwort von Ralf, sondern sprang ins Wasser. Sie tauchte nach dem Kind und hatte es kurz darauf. Sie versuchte, die schmale Leiter mit dem Kind hochzukommen aber sie schaffte es nicht. Glücklicherweise kam Ralf gerade angerannt, dicht gefolgt von den Eltern, die vorher nicht bemerkt hatten, dass ihre Tochter zurück zum Boot gelaufen war. „Ralf, hilf mir!“ rief Gabriele und Ralf nahm ihr das Kind ab und zog es auf den Steg. Gabriele kletterte ebenfalls hoch und kümmerte sich sofort um das Kind. Sie zitterte, das Wasser war sehr kalt und sie musste sofort an den Einsatz mit dem Jungen vor ein paar Tagen denken. Biggi nahm mithilfe des Polizisten die Eltern beiseite. Sie versuchte, die Mutter etwas zu beruhigen, die immer wieder wimmerte: „Leonie, Leonie… Oh, mein Gott…“ Biggi sagte: „Sie können jetzt nicht zu ihrer Tochter. Unsere Ärztin kümmert sich um Leonie. Sie schafft das, ganz sicher.“ Biggi blickte rüber zu Ralf und Gabriele, die um das Leben des Mädchens kämpften. Nach einer Weile sah sie die Erleichterung in den Gesichtern der beiden, sie hatten es geschafft, das Mädchen zurück zu holen. Jetzt musste alles schnell gehen. Sie brachten das Mädchen in den Hubschrauber und flogen sofort los. An der Klinik ging Gabriele mit rein, Biggi und Ralf warteten am Hubschrauber. Als Gabriele eine Weile zu den beiden zurück kam, lächelte sie erleichtert. „Die kleine hat es geschafft.“ Ralf umarmte sie. „So ein Glück, dass du zur Stelle warst, die Eltern hatten gar nicht mitbekommen, dass ihre Tochter weg war.“ Gabriele nickte. Sie stiegen ein und flogen zur Basis zurück. Gabriele ging duschen und Ralf kochte ihr einen Kaffee. Die drei waren froh, als wieder Schichtwechsel angesagt war. Sie saßen noch eine Weile im Aufenthaltsraum zusammen und berichteten den anderen von dem Einsatz. Ralf sah Gabriele an und wandte sich dann wieder an die anderen: „Dass das Mädchen es geschafft hat, ist ganz allein Gabriele zu verdanken, wäre sie nicht zur Stelle gewesen und hätte sie aus dem Wasser geholt…“ Gabriele lächelte verlegen. Peter grinste plötzlich und gab Gabriele die Hand: „Herzlichen Glückwunsch.“ Gabriele sah ihn fragend an. Peter lachte und meinte: „Hattest du nicht gesagt, du würdest nie wieder ins Wasser gehen? Ich würde sagen, das heute bedeutet, Trauma überwunden, oder?“ die anderen mussten lachen und stimmten Peter zu. Gabriele lächelte jetzt ebenfalls. „Ihr habt wohl recht, Trauma überwunden.“
Ende